Anfang bis Ende
Fünf Autorinnen – Fünf Texte – Eine Kette
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EGINN
EGINN
Im Garten fällt der morsche Baum. bis zu Seelenruhe ist auch kein bleibender Zustand.

Im Garten fällt der morsche Baum I
Sie kamen im Morgengrauen, legten ihm die Ketten an und durchtrennten die letzten Lebensadern. Ausgestreckt lag der Riese aus dem Gartenreich ihrer Kindheit auf dem grauen Asphalt. Sein stöhnender Todesschrei vermischte sich mit Traumsplittern, rauschte und krachte in ihrem Kopf. Aber das Bewusstsein erlangte nur kurze Zeit die Oberhand.
In diesem kurzen klaren Moment wusste sie, dass die Männer kommen und die todkranke Pappel fällen würden. Der Großvater hatte das beim sonntäglichen Nachmittagskaffee gesagt. Die Straße neben der Gartenmauer müsse gesperrt werden, damit der Baumriese ohne Gefahr für Menschen, Autos und Gebäude würde fallen können.
Das kleine Mädchen in seinem Bett war noch nicht bereit, sich dem kommenden Tag zu stellen und verweilte noch in der Bilderwelt des Traums. Darin hüpfte das Kind mit seiner Puppe Mia über die Wiese an den Wäscheleinen mit den flatternden Bettlaken vorbei, hinüber zu seinem Lieblingsplatz unter der Trauerweide. Das war ein magischer Ort, kreisrund mit hängenden Zweigen wie Perlenschnüre oder Feenhaar, der Kinderpalast. Die Sonne blinzelte und warf filigrane Schatten auf die Szenerie. Im Traum forderte das Mädchen seine Puppe auf, im sicheren Versteck zu warten. Sie selbst wollte weiter hinten im Garten ein paar der köstlichen Erdbeeren pflücken und dann zurückzukehren.

Unbehagen beschlich das Mädchen als es den schützenden Kreis der hängenden Zweige verlies. Der Weg zu den süßen Früchten glich einer gefahrvollen Expedition. Zunächst musste die Ameisenstraße überwunden werden, die sich diagonal über den Gartenweg aus grau-blauem Splitt hinzog. Der glänzende Fluss aus krabbelnden Insekten bewegte sich in Richtung der alten Pappel.
Die grausige, schwarze Flut strömte den Baumstamm hinauf und verschwand hoch oben im wilden Gewirr von Blättern und Zweigen. Ihr Blick wurde jedoch heruntergezogen zum Boden und gefesselt von den wulstigen Wurzeln des Baumriesen, die sich als Hindernisse und Stolperfallen in den Weg stellten. Sie erinnerten die Träumerin an die krankhaften Verwachsungen der Füße der Großmutter mit den entstellten Zehen. Mit einer Mischung aus Ekel und Faszination wanderte ihr Blick über die schrundige Baumrinde, die der Haut eines alten Krokodils ähnelte. Und überall war dieser klebrige Saft. Zähe goldfarbene Tropfen mit der Konsistenz dickflüssigen Blutes umkränzten die Wunden des Baums und verströmten einen harzigen Duft. Da waren Aushöhlungen im Holz, geheimnisvolle Spalten, die ins Dunkle, Unbekannte führten, zu gefahrvoll und abschreckend, um sie mit den Händen zu berühren und zu erkunden. Dennoch weckten diese Stellen Interesse und Neugierde. Es brauchte viel Kraft, sich von diesem Naturschauspiel abzuwenden, aber schließlich gelang der beherzte Sprung fort vom alten Baum.
Die nächste Station der Gartenreise war nicht minder verstörend. Da stand eine aus löchrigem Tuffstein gemauerte Grotte voller Spinnweben. Auch sie bot einer Schar unterschiedlicher Insektenwesen ein Heim. Als Schreckensgestalten hatten sie die Eigenschaft, sich in den Träumen des Kindes einzunisten und allerlei Schabernack zu treiben. Die staubig-poröse Mauernische wurde bewacht von einer kalkweißen Madonna. Die stumpfe Farbe der Figur hatte feine Risse. Davon unbeeindruckt faltete die Heilige ihre Hände.
Der Blick des Kindes fiel auf den kleinen, verwelkten Blumenstrauß zu Füßen der Heiligen. Es war Tradition, dass in den Maiwochen der Muttergottes Blumengaben dargebracht wurden, und es war Aufgabe des kleinen Mädchens, diesen Altar zu pflegen. Tränende Herzen, Stiefmütterchen, Gänseblümchen, Maiglöckchen, Vergissmeinnicht, Traubenhyazinthen und Löwenzahn, alle Blumen des Gartens sollten der heiligen Mutter huldigen.
Die Erdbeeren für das Picknick mit der Puppe Mia waren längst vergessen, denn schon gemahnten ihre Gedanken an die ihr auferlegte und vernachlässigte Pflicht.
Die Unruhe der Gedanken, aber auch die lauten Geräusche ließen das Kind nun endgültig aufwachen. Es wühlte sich aus dem Bett, schlüpfte in die Schuhe und sprang die Treppen hinunter, hinaus auf den Hof und in den Garten und über die Wiese. Eine jähe Lücke klaffte zwischen der Trauerweide und den anderen Bäumen des Gartens. Der Fuß des Riesen war noch da. Holzsplitter ragten aus dem gewaltigen Baumstumpf wie Zeigefinger in den Himmel auf. Hinter der Mauer wüteten die kreischenden Sägen im geschlagenen Holz.
Der Krach war nicht zu fassen, ebenso der Gestank der Motoren, gegen den die Erinnerung an den Duft von Holz und Harz augenblicklich verblasste. Das Herz des Mädchens wurde schwer. Es blickte zur Grotte. Die heilige Frau betete immer noch – ungerührt. Der kleine Blumenstrauß lag zertreten im Staub.
Seelenruhe ist kein bleibender Zustand!
Mail an den Workshop
Darüber könnten wir diskutieren:
- Dinge, die das Leben begleiten. „Im Garten fällt der morsche Baum“ als Episode eines persönlichen Schreibprojekts (Arbeitstitel „Kindersachen“). Impuls siehe Leseprobe.
https://www.piper.de/buecher/die-dinge-unseres-lebens-isbn-978-3-8270-1397-2
Es war wohl Zufall, dass ich die Geschichte vom morschen Baum selbst erlebt und nun als Schreibaufgabe zum Kurs bearbeitet habe. Im Vergleich zu den vorangegangenen Texten ist er nicht essayistisch, sondern fiktiv. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ein fiktiver Anschluss passt und habe irgendwann entschieden, den Text so einzureichen.
- Autobiographie und Fiktion (Es gibt biographische Elemente!)
1. Kommentar zum eigenen Text
„Im Garten fällt der morsche Baum.“
Mit diesem Satz soll meine Geschichte beginnen. Ich finde, ich habe Glück gehabt. In meinem Fall passt die Schreibaufgabe zu einem Schreibprojekt, das ich mir selbst aufgetragen habe. Vor einiger Zeit las ich das Buch „Die Dinge unseres Lebens“ von Susanne Mayer. Darin schildert die Autorin, wie sie den Haushalt ihrer verstorbenen Eltern auflöst und all den Dingen wieder begegnet, die sie und meine Generation geprägt haben. Ich habe daraufhin eine Liste von Gegenständen zusammengestellt, die im Laufe meines Lebens eine Bedeutung hatten. Mit der im Schreibkurs gestellten Aufgabe fiel mir ein, dass es den morschen Baum, der im Garten fiel, tatsächlich in meinem Leben gegeben hat. Es war eine alte Pappel.
Mir sind viele Gedanken beim Schreiben durch den Kopf gegangen. Es war sehr interessant, mich auf die Reise in meine Kindheit zu begeben und den Garten als auktoriale Erzählerin zu betreten. Ich dachte an den „Siggi Jepsen“ aus der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz, der die Geschehnisse in seiner Vergangenheit wie ein Teppich aufrollt und die Leser in seine Welt eintreten lässt. – Nun ganz so dramatisch ist meine Geschichte nicht.
Ich ließ den Garten meiner Kindheit in einer Skizze entstehen. Je mehr ich in dieser Erinnerung herumspazierte, je mehr Details wurden mir bewusst. Die Ameisenstraße, die unablässig die kranke Pappel erstürmte, kam mir in den Sinn. Ein ähnliches Motiv hat Simon Beckett in seinem Krimi „Chemie des Todes“ als dramaturgisches Mittel bei einem Leichenfund eingesetzt. Es reizte mich ungemein, meine Ameisenstraße in der Beckett‘schen Art textlich zu gestalten.
Und der vorgegebene abschließende Satz passt sogar zu meinem Kommentar:
Seelenruhe ist auch kein bleibender Zustand.
Zweiter eigener Kommentar (nach dem Workshoppen des ersten Texts)
Nun, alle Vorüberlegungen haben nicht geholfen, der Text kam nicht gut an. Überzeugend fand ich, dass die Gedankenwelt nicht zum Denken eines Kindes passt und die Erzählperspektive unpräzise ist. Es ist in der Tat meine erwachsene Sichtweise mit dem Abstand zu den damaligen Geschehnissen. In der Überarbeitung wird das Kind also nicht mehr auftreten.
In der 2. Fassung sollte die Natur des Gartens, der vor vielen Jahren so existierte, im Vordergrund stehen. Es ist immer faszinierend, dass der Schreibprozess von scheinbar zufälligen Impulsen begleitet wird. „Nature writing“ war das Schlagwort, das mich während des Schreibens inspiriert hat.
Allerdings erkannte ich, dass hinter den Gartenmauern, Lauben und Blumen eine christliche Motivwelt aufschien. Ich hatte jedoch keinen Paradiesgarten beschrieben, denn dieser Ort war bestimmt durch Lebenskampf und Verfall. Vielleicht kann man den beschriebene Garten als einen nach dem Sündenfall ansehen. Mit dem Verschwinden des Gartens durch Hausbau und Parkplatz tauchte zudem die ganz aktuelle Thematik der Umweltzerstörung auf. Der Platz des Gartens ist heute im übertragenen Sinne „wüst und leer“.
Im Garten fällt der morsche Baum II

Sie kamen im Morgengrauen, legten ihr die Ketten an und durchtrennten die letzten Lebensadern. Ihr stöhnender Todesschrei vermischte sich mit dem Kreischen der Motorsägen und dem Splittern und Knacken des Holzes. Der Krach war nicht zu fassen. Ausgestreckt lag sie da, die riesige Pappel, auf dem grauen Asphalt der Straße und hinterließ eine jähe Lücke zwischen den anderen Bäumen.
Der Garten, in dem bis zu diesem Tag ihr Platz war, war ein geschützter Ort, umgeben von weiß gekalkten Mauern und Ziergittern an der Schauseite. Ein Maler hätte darin die Zutaten eines Hortus conclusus gesehen und dort irgendwo weitere Hinweise auf den Garten Eden platziert. Es stand tatsächlich eine Madonna dort, direkt neben dem jetzt entfernten Baum in einer Grotte aus porösem Tuffstein, allerdings ohne weiteres Beiwerk. Sie war weiß und die stumpfe Farbe hatte feine Risse. Die Pappel, in der Ecke des Gartens neben der Straße, überragte all die vielen anderen Baumschönheiten und wirkte wie die Wächterin des idyllischen Ortes. Als Solitäre hätten die meisten der Bäume jedem englischen Landschaftsgarten alle Ehre erwiesen. Da war eine Gruppe mit drei Linden, ein Zwillingspaar von Walnussbäumen, Flieder, eine elegante Magnolie, Spalierobst, eine Reihe Apfelbäume und die einsame Herzkirsche im Nutzgarten. Die schönste von allen war aber die Trauerweide. Sie stand seitlich der Wiese, die noch als Wäschebleiche genutzt wurde. Ihre hängenden Zweige erinnerten an Feenhaar und der schattige Platz unter der Baumkrone diente den Kindern als geheimes Versteck. Oft blinzelte die Sonne zwischen dem Blattwerk ins Innere des Unterschlupfs und verzauberte den Boden mit filigranen Schattenrissen.
Dieser Garten war durchaus kein friedlicher Ort. Tagtäglich wurde der Kampf um Leben und Tod ausgefochten, wenn beispielsweise die dicke Kreuzspinne in ihrem seidenen Netz in der Geißblattlaube auf Beute lauerte, Elstern Nester plünderten oder die Katzen bei jeder Tages- und Nachtzeit die Vögel in Angst und Schrecken versetzten. Dennoch hatte alles eine wunderbare Ordnung. Die Bohnen und Zwiebeln warteten in ihren akkuraten Reihen auf die Ernte, Kräuterbeete verströmten herrliche Aromen, auf dem Kompost machten sich leuchtend orangene Kürbissen breit und im Blumengarten wetteiferten duftende Rosenbüsche, Dahlien und Sonnenblumen um Aufmerksamkeit.
Das Sterben begann auf dem Gartenweg mit dem graublauen Splitt. Etwa in Höhe der Trauerweide sammelten sich die ersten Ameisen, die schon nach kurzer Wegstrecke Zuwachs erhielten und eine Straße bildeten, die immer breiter wurde. Der Kreuzzug aus Insekten nahm Kurs auf die Pappel. Wie ein Heer von Kriegern mit schwarz-glänzenden Rüstungen erstürmte die Armee die äußeren wulstigen Wurzeln und den wuchtigen Baumstamm. Die schwarze Flut flutete den Baumstamm hinauf und verschwand hoch oben im Gewirr von Zweigen und Blättern, um ihr Werk zu verrichten. Der ganze Stamm war durchsetzt mit tiefen Aushöhlungen im Holz und geheimnisvollen Spalten, die zum Teil mit Spinnweben übersät waren und aus denen Harz quoll. Überall klebte dieser goldfarbene Saft, der mit seinem Duft die Insekten als Totengräber von überall heran lockte.
Das Todesurteil fällte der Baumspezialist, der zu Rate gezogen wurde, um zu entscheiden, ob die Pappel noch zu retten sei.
Und so fiel die Wächterin des kleinen Paradieses vor vielen Jahren an einem Sommertag im Morgenrot. Sie war die erste, die verloren ging, es folgte die Weide, deren Wurzeln es gewagt hatten in den Kanal zu wachsen, aber auch die Walnussbäume und Linden verschwanden für einen Parkplatz und die Obstbäume mit dem Nutzgarten für eine Lagerhalle. Zuletzt verschwand die Wiese mit dem Blumengarten für ein Einfamilienhaus mit Walmdach und gefliestem Vorgarten.
Seelenruhe ist kein bleibender Zustand
3. Kommentar in eigener Sache Ich habe noch einen dritten Versuch unternommen, einen Text zum Einstiegssatz zu formulieren. Diesmal sollte der Baum die Hauptrolle spielen. Ich habe aber gemerkt, dass ich mich an der Aufgabe abgearbeitet hatte und ich nicht mehr weiter an der Aufgabe arbeiten wollte. Das Ergebnis ist entsprechend. Mein Text mit der Perspektive des Baumes bringt die Thematik nicht weiter und so wie ich es geschrieben habe ist er ein Rückschritt mit weinerlichem Unterton.
Ich biete den Text dennoch zur Veröffentlichung an, weil damit der gesamte Schreibprozess zur Aufgabenstellung abgebildet werden kann. Dies war ein sehr fruchtbarer Vorgang mit der Überraschung, dass jeder Text eigenständige Perspektiven eröffnet und die Diskussion in unserer Arbeitsgruppe inspiriert hat.
Die Arbeit an der Fortsetzungsgeschichte war jedoch nicht der einzige Schwerpunkt. Es wurden zusätzlich Schreibimpulse gegeben, die die Kursteilnehmerinnen bearbeiten konnten. Auch hierzu meine Schreibprobe Die Strumpfhose
Über Strumpfhosen
Ein Polaroid Foto zeigt eine Strumpfhose, die auf einen Kleiderbügel gezogen ist. Schlapp, durchsichtig und körperlos hängt sie da, einfach ein lappiges Etwas. Der Künstler Hans-Peter Feldmann ist bekannt für seine Fotos von alltäglichen Dingen. Die Strumpfhose gehört zu einer Serie von 71 Fotos mit dem Titel „Alle Kleider einer Frau“. Feldmann ist ein Mann, der den Inhalt des Kleiderschranks einer Frau fotografiert hat, unter anderem eine Strumpfhose. Der männliche Blick ist hier anders als sonst üblich, aber sicher nicht verwerflich. Wenn er alle Kleider eines Mannes auf die gleiche Weise fotografiert hätte, wäre die Wirkung ähnlich gewesen, ungewohnt, weil nüchtern und nicht inszeniert, wie wir das aus der Modefotografie kennen.
Es ist seltsam, dass mir nur dieses eine Motiv in Erinnerung geblieben ist. Ich besitze eine Schublade mit vielen Strumpfhosen. Sie sind sehr charakterstark, haben Persönlichkeit. Einige schmiegen sich an, andere zwicken notorisch, sie dehnen sich genüsslich oder schrumpfen beleidigt. Alle lieben den Schleudergang aber noch mehr ausgedehnte Schaumbäder.
Meistens sind meine Strumpfhosen schwarz, es gibt auch einige in der Farbe beige. Hautfarben sollte man nicht mehr sagen: Ich sehe mich im Zug sitzen, mit gelangweiltem Blick die Einfahrt in den Bahnhof abwartend. Mein Blick ist gesenkt, ich sehe nur die Beine meiner Mitreisenden, die sich langsam zum Ausstieg bereit machen. Ein paar schwarze Beine fallen mir auf. Die Frau trägt modische Sneaker und einen kurzen Rock aus Chiffon in Pastellfarben. Das passt nicht, denke ich, diese schwarzen Strumpfhosen und das leichte, sommerliche Outfit. Mein Blick wandert die Figur der Frau hinauf und ich finde heraus, dass sie dunkle, schwarze Haut hat.
Ich bin eine weiße Frau, die es liebt, ihre weißen Beine in schwarze Strumpfhosen zu stecken.
Wie viele Strumpfhosen habe ich im Verlauf meines Lebens getragen? Wo sind sie geblieben? Das ist eine rhetorische Frage. Sie sind natürlich im Hausmüll gelandet und führen auf der Müllhalde das Leben von Untoten, da sie nicht verrotten können. Natürlich kommt es in der Zeit des Vollmonds um Mitternacht zu Exzessen, denn alle Strumpfhosen der Müllhalde, und das sind nicht nur meine, vereinen sich in einem orgiastischen Hexentanz. Sie werfen ihre Beine in den Nachthimmel, verheddern und verknoten sich, zucken wie Blitze und geraten ins Rasen, immer schneller und schneller bis sie eine Windstrumpfhose bilden. Aber damit nicht genug, alle Strumpfhosen der Erde vereinen sich zum Hypercane. Er durchschlägt die Stratosphäre und das Sonnensystem und schließlich die Milchstraße, um als neue Galaxie einen Platz im Weltraum zu finden.
Die rasende Tanzwut der Hexenstrumpfhosen durch das Weltall wäre eine ideale Form der Müllentsorgung und könnte Vorbild für weitere Dinge sein, die die Menschheit los werden möchte, bis auch der Himmel vollgemüllt ist. Aber das schaffen wir auch noch.
DER BAUM FÄLLT
Ich weiß schon, dass du dich vor mir fürchtest. Als gewaltige Pappel bin ich so groß und du so klein. Ich bin so alt und vom Tode gezeichnet und du so jung und unschuldig.
Ich liege nun ausgestreckt auf dem grauen Asphalt. Die Männer kamen im Morgengrauen und durchtrennten die letzten Lebensadern. Den Krach der Motorsägen konnte man nicht fassen.
Ich sehne mich zurück nach dem zärtlichen Sommerwind, der durch die Blätter streicht. Er wird jetzt andere Bäume bezaubern.
Erinnerst du dich, als du mit deiner Puppe Mia verstohlen die Köpfe durch den Vorhang der Zweige der Trauerweide stecktest und zu mir blicktest, um abzuschätzen, ob der Weg an mir vorbei zu den leckeren Erdbeeren zu gefahrvoll sei?
Du ekeltest dich vor der breiten Straße von Ameisen, die unablässig meinen Stamm überfluteten. Du hast es wohl geahnt. Die Ameisen waren meine Todesboten. Sie witterten das morsche Holz und den Harz.
Unser Garten Eden ist kein Paradies. Der Kampf um Leben und Tod findet jetzt und überall statt. Die dicke Kreuzspinne in ihrem Netz in der Geißblattlaube stürzt sich auf alles Leben, was sich in ihren seidenen Fäden verstrickt, die Amsel zerrt genüsslich den Regenwurm aus der Erde, die Elster plündert Nester und die Katzen versetzen die Tierwelt des Gartens Tag und Nacht in Schrecken. Das alles hat seine Ordnung und gehört zum Leben.
Wer wird nun Acht geben auf all das hier, auf den Garten deiner Kindheit?
Seelenruhe ist kein bleibender Zustand.
Karin Rottmann
