Ein Beitrag von Stefan Wimmer
In diesen Tagen sind die Feuilletons und das Netz angefüllt mit der Diskussion über die Meinungsfreiheit in Deutschland. Uwe Tellkamp, der bedeutende Romancier und Autor des Epochenromans „Der Turm“ sah im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Dresden nicht nur die Meinungsfreiheit in Deutschland in Gefahr, sondern bezeichnete 95% der Migrant*innen als Wirtschaftsflüchtlinge.
Obgleich die politische Gesinnung glücklicherweise in diesem Land zum Recht auf freie Meinungsäußerung gehört und damit einem Grundrecht dieses Staates obliegt, erstaunen diese Äußerungen doch sehr. Möglicherweise lassen sie sich erklären durch eine beispiellose historische Situation der Aneignung Ostdeutschlands durch die alte BRD und dem damit verbundenen Gefühl, dass man in seinen Werten, persönlichen, wirtschaftlichen wie auch politischen Lebensformen niemals akzeptiert wurde und wird. Die übliche begriffliche Kategorie der öffentlichen Meinungsmacher –und -blätter bezogen auf die östlichen Regionen dieses Landes ist „Dunkeldeutschland“. War vor dem Fall der Mauer das Tal der Ahnungslosen durch das Fehlen westlicher Informationsquellen im Osten beheimatet, so scheinen die meisten Menschen im Westen, Süden und Norden dieses Landes heute diese Ahnungslosigkeit auf alle Lebensbereiche dort auszudehnen und den „Ostdeutschen“ Urteilsfähigkeit abzusprechen. Das die westliche Pauschalkritik an den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Ostdeutschland verständlicherweise die Gefühle der Menschen verletzt und dies noch wesentlich verstärkt wird durch die wirtschaftlich Abhängigkeit von westlichen und/oder globalen Entscheidern kann einen nicht wirklich verwundern. Das damit auch die Entscheidungshoheit über die Perspektiven und Überlebenschancen des Einzelnen wie auch ganzer Städte und Regionen in Ostdeutschland als persönlicher Angriff wahrgenommen wird kann erst recht nicht erstaunen.
Doch erscheint glücklicherweise die Replik von Durs Grünbein – Beteiligter und Gegenpart in der Podiumsdiskussion – in der Süddeutschen Zeitung vom 14. März 2018 in vieler Hinsicht als Ausweis einer wahrhaft demokratischen Höhenlage. Persönliche Betroffenheit kann nicht mit Argumenten sondern nur mit Menschlichkeit begegnet werden; auch und gerade im festen Standpunkt und der normativen Haltung gegenüber jenen, die den Boden demokratischer Auseinandersetzung verlassen, Ihre Position und Meinung mit Gewalt gegen Menschen durchsetzen wollen. Der Aufschrei von Uwe Tellkamp bzgl. des Untergangs der Meinungsfreiheit in Deutschland bezog sich auf Angriffe gegen rechte bzw. rechtes Gedankengut verbreitende Verlage auf der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr. So sehr diese Angriffe zu verurteilen sind, so ist es ganz im Sinne von Durs Grünbein in absoluter Weise vonnöten Gewalt gegen Menschen wie sie von rechten Gruppen nicht nur vereinzelt verübt werden, aufs Schärfste und uneingeschränkt zu verurteilen.
Doch bleibt am Ende die Komplexität demokratischer Gesellschaften mit Ihrer Meinungsvielfalt. Diese kann nur verhandelt werden mit Worten und in der Annahme, dass Menschenrechte unverhandelbar sind, dass Gewalt gegen andere Lebewesen nicht tolerierbar ist.
Unsere Verfassungsväter und –mütter haben im Grundgesetz geschrieben: „Art. 1. Die Würde des Menschen ist unantastbar … Art 3. 3 Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Unter anderem die Kunst benötigt diese Freiheiten aber noch wesentlicher die Menschen und wir sehen in diesen Wochen und Monaten zahlreiche Beispiele von Staaten in denen diese Rechte nicht nur mit Füßen getreten werden sondern Maßnahmen ergriffen werden, diese Rechte einzuschränken. Es lohnt sich dafür zu streiten und jeden Tag etwas dafür zu tun, dass in unserem Land und in allen Teilen davon die Würde des Menschen unantastbar bleibt.
So ist es auch die Aufgabe der Kunst und unserer Institutionen wie der Kunstakademie Bad Reichenhall die Freiheit des Einzelnen zu erweitern, ein Bewusstsein für die Verletzlichkeit derselben und die Notwendigkeit des Streitens dafür. Immer in Angesicht dessen dass diese Freiheit in einer Gesellschaft beschränkt wird durch die Freiheiten und Rechte der Anderen, gesamt getragen von einem Gefühl der Gemeinsamkeit.
Dass dieses Gefühl der Gemeinsamkeit zur Zeit bedroht wenn nicht sogar schon verloren geglaubt wird, liegt ganz wesentlich darin, dass wir zahlreiche Beispiele unterschiedlicher Moralvorstellungen erleben, sei es der Dieselskandal der Automobilindustrie, die Diskrepanz von Gehältern oder unterschiedliche Moralvorstellungen begründet in religiösen und politischen Gruppen. Der Kritik daran wird vielfach mit einer moralische Kälte und fehlenden Menschlichkeit begegnet.
Die Herausforderung unser liberalen westlichen Demokratien liegt nun darin zu werben für eine offene Gesellschaft, deren Basis der Rechtsstaat ist und der uns als Individuen die Möglichkeiten gibt auf dieser Basis unsere individuellen Lebens- und Moralvorstellungen auszuleben. Nicht zuletzt sieht dieser Rechtsstaat im Grundgesetz in Artikel 2, Absatz 1 folgendes vor: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“
Demgemäß müssen wir uns über das Sittliche austauschen, aber nicht mit Gewalt und Herabwürdigung anderer, sondern mit Empathie für die Menschen, nicht mit Gleichgültigkeit dem Schicksal anderer gegenüber sondern im Verständnis, dass jedes Menschen Würde unantastbar zu sein hat!
Stefan Wimmer